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Was ist eigentlich… Kompetenz?

Geschrieben von Silke Katterbach

Ich unterstütze mit Begeisterung Menschen dabei, ihren (Wieder-) Einstieg in den Beruf zu bewältigen. Sie alle besitzen Kompetenz! Ich treffe Personen mit bunten, schrägen, lückenhaften, z.T. schicksalsschweren Lebensläufen. Vom „Profiling“ bis zur Erstellung der Bewerbungsunterlagen begleite ich völlig unterschiedliche Menschen mit völlig unterschiedlichen… genau: Kompetenzen. Wenn ich Stellenanzeigen lese, auf die sich meine Coachees bewerben möchten, komme ich nicht selten ins Grübeln.

Gesucht werden Personen mit Erfahrungen. Idealerweise sollten sie schon mindestens 5 Jahre in genau dem Bereich gearbeitet haben, der nun im Unternehmen zu besetzen ist. Keine Frage, dass Erfahrungswissen wertvoll ist! Nur was sagt 10-jährige Führungserfahrung über die Führungskompetenz des Kandidaten aus? – Nichts. Wie hat er geführt? Was qualifiziert ihn dazu, Führungsverantwortung zu übernehmen? Wie leicht oder schwer fällt es ihm, andere Menschen zu führen? Die Beurteilungen im beigefügten Zeugnis geben, wenn überhaupt, dann nur codierte Informationen dazu.

„Fachkräftemangel“, „attraktiver Arbeitgeber“, „Demokratisierung der Arbeit“, „Querdenken“: das alles sind Themen, die in der Organisationsberatung eine große Rolle spielen. Vor den Türen der Recruiting-Abteilung macht der kulturelle Wandel jedoch scheinbar immer noch Halt. Ein „Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung“ auf der Website macht noch keinen attraktiven Arbeitgeber und. Recruiting ist oft ein „isolierter“ Prozess, der nach Kennzahlen von Menschen ohne die jeweilige Fachkenntnis eingehalten wird. Und natürlich herrscht nicht überall Fachkräftemangel, was in Personalabteilungen zu einer Flut von Bewerbungen führt, die irgendwie abgearbeitet werden will. Wie kann man da noch individuelle Kompetenzen berücksichtigen? Denn Kompetenzen sind nicht Erfahrungen, sondern eine grundsätzliche Voraussetzung für bestimmte Fertigkeiten. Das Lexikon der Psychologie von Dorsch definiert Kompetenz nämlich so: [engl. competence; lat. competere zu etwas fähig sein, wetteifern], kontextspezifische(s) Leistungspotenzial oder -disposition; K. kann als eine «im Handeln aktualisierbare persönliche Handlungsdisposition» (Disposition) definiert werden (Bernien 1997), die die erfolgreiche Bewältigung von Leistungsanforderungen oder anspruchsvollen Aufgaben determiniert. K. bez. ein Leistungskonstrukt, das stärker als das Konstrukt der Intelligenz den Handlungsbezug in realen Kontexten berücksichtigt.

Nun handeln Unternehmen  nach ökonomischen Prinzipien, Kompetenzerforschung braucht Zeit und die kostet bekanntlich Geld. Es sei jedoch die Frage erlaubt, inwieweit es eine ökonomische Entscheidung ist, Erfahrungswissen über Kompetenzermittlung zu stellen und davon auszugehen, dass Personalexperten einschätzen könnten, ob der Verfahrensingenieur aus dem Kamerun nicht vielleicht genau DER innovative Querdenker ist, der einen Mehrwert liefern könnte? Ein Beitrag der Personalabteilungen zur CSR (Corporate Social Responsibility) wäre es, Menschen eine Chance zu geben, ihre Kompetenzen trotz eines schrägen Lebenslaufs zu zeigen. Jedes Unternehmen ist auch in gesellschaftlicher Verantwortung. Die Gesellschaft ist bunt und besteht zu einem großen Teil aus Menschen, die keinen lückenlosen Lebenslauf, sehr wohl aber jede Menge Kompetenzen mitbringen. Dafür jedoch fehlen tatsächlich nach wie vor das Verständnis und/oder Methoden zur Umsetzung. Lebensläufe sind stromlinienförmig zu formulieren; aus privaten Problemen sollten möglichst berufliche Stärken hervorgehen, eine psychische Erkrankung darf erst recht nicht auftauchen. Die Arbeitswelt müsste eigentlich ausschließlich aus immer glücklichen und nie vom Schicksal heimgesuchten Menschen bestehen.

Mutig sind die Arbeitgeber und Personalabteilungen, die sich auf die Suche nach Kompetenzen machen und damit riskieren, auch mal die falsche Personalentscheidung zu treffen. Das tun sie ohnehin, wenn sie nur auf die Erfahrungen ihrer zukünftigen Mitarbeiter bauen.