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Fürstentümer in der neuen Arbeitswelt

Geschrieben von Silke Katterbach

Helden von gestern

Als größtes Hindernis für Entwicklung in Unternehmen sieht Wolf Lotter (2017, S. 39) die „bis zur Unkenntlichkeit betriebene Vermengung von Unternehmertum und Verwaltung“. Oder, wenn man so will, die Verwechslung von Management und Führung. Geprägt durch die Gründerzeit der Industrie wuchs ein Führungsbild, das heute zwar nicht mehr wirklich sozial akzeptiert ist, jedoch immer noch kulturell nachwirkt. Das macht sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass mit der Rolle des Anführers, des Helden, der auch in stürmischen Zeiten die Ruhe bewahrt und die richtigen Entscheidungen trifft, eine gewisse Faszination einhergeht. Im deutschen Mittelstand trifft man solche „Haudegen“ noch häufig an. Doch die Welt hat sich im Allgemeinen verändert. Der materiellen Emanzipation folgte wie immer die soziale Angleichung, was die ehemals getrennten Welten der Mächtigen und der Gehorchenden immer weiter verschmelzen ließ. Heute sprechen wir von einer Demokratisierung der Führung, was bedeutet, dass es transparente Regeln der Führung gibt, und dass die „Willkür nach Gutsherrenart“ verständlichen Entscheidungen weicht.

Selbstführung ist der erste Schritt

Diese Entscheidungen zu treffen, ist im heutigen Führungsverständnis die zentrale Aufgabe, was aber im Übergang von der Leistungs- in eine Wissensgesellschaft zu diffusen Erwartungen allerseits führt. Je nach Situation und Umgebung fordern Mitarbeiter jemanden als Führungskraft, der ihnen eindeutig sagt, wo es langgeht, oder sie fordern maximale Beteiligung mit einer moderierenden Führung. Da sich die Funktion und Rolle der klassischen Führungskraft jedoch tendenziell immer stärker in Richtung einer moderierenden, selbstlos fördernden und zusammenbringenden Person entwickelt, redet man heute gerne von „Leadership“. Die einsamen und autoritären Lenker an der Spitze der Organisation sterben langsam aus. Trotzdem hält sich in diesen Reihen ein schier unbeirrbarer Glaube daran, dass die alten Methoden auch in einem völlig veränderten Umfeld noch alles richten können. Der Weg von der klassischen Führung zum Leadership geht über die Etappen Selbstkritik, Selbsttäuschung, Menschenbild und Charakter. Wer sich und seine Arbeit also nicht selbst infrage stellen kann, täuscht sich selbst eine verzerrte Realität vor. Nur wer bei arbeitenden Menschen grundsätzlich an die Lernbereitschaft und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, glaubt, kann sich darauf konzentrieren, ihnen aus dem Weg zu gehen, „denn die einzige legitime Form von Mitarbeiterführung ist die Selbstführung“ (Lotter 2017, S. 45). Grundvoraussetzung für diese Maxime ist es, sich selbst und andere Menschen zu mögen, stets davon angetrieben zu sein, mehr aus sich und anderen Menschen zu machen, kurzum: einen Charakter zu haben, der sich nicht in erster Linie an Status- und Machtinteressen orientiert.

Die Persönlichkeit zählt

Die 400 Führungskräfte, die an einer Studie „Neue Führung“ teilgenommen haben, zeichnen ein sehr klares Bild davon, welche Anforderungen an die Führung von morgen gestellt werden und sind sich in einem Punkt einig: Dass „Segeln auf Sicht“, die Bereitschaft und Fähigkeit, sich auf ergebnisoffene Prozesse einzulassen, schon heute ein zentrales Charakteristikum guter Führung ist und in Zukunft an Bedeutung zunehmen wird. Das neue Führungsverständnis stößt natürlich dort auf Widerstand, wo Führung sich aufgrund ihres Status über die Dinge stellt, und auch dort, wo Mitarbeiter ihre Selbstverantwortung an die Führung delegieren möchten. Dieser Widerstand kann viele Ursachen haben und wir können ihn verstehen oder nicht, das ändert nichts. Wir brauchen eine offene Auseinandersetzung darüber, welches Führungsverständnis im Unternehmen vorherrscht.

Fürstentümer zersetzen die Organisation

Man muss nicht Einstein heißen um zu verstehen, dass es der Entwicklung eines Unternehmens im Wege steht, wenn Fürstentümer verteidigt werden. Dabei spielt es keine Rolle, auf welcher Hierarchieebene sich unsere Fürsten tummeln oder was ihre persönlichen Motive sind. Wissenstransfer und das gemeinsame Interesse treten in der Arbeitswelt von morgen an die Stelle mächtiger Einzelpersonen. Dabei ist es für mich äußerst interessant zu beobachten, wie unterschiedlich glaubwürdig dieser Übergang in den Führungsebenen von Unternehmen verstanden und vorangetrieben wird. Viele ehemalige Fürsten ziehen sich beleidigt zurück oder drohen mit dem Rest ihrer mühsam über viele Jahre entwickelten Autorität. Sie lassen in ihrer Kommunikation keinen Zweifel daran, dass der eingeschlagene Weg des Unternehmens der pure Unverstand ist und vergiften damit nicht selten das Klima. Andere hingegen drehen sich in den „neuen“ Wind und geben vor, viel gelernt zu haben und auch eine Weiterbildung in agilem Management dafür nutzen zu wollen, endlich „richtig“ zu führen. So sichern sie sich einen Platz in der neuen Kultur und werden getragen von einer Sympathiewelle. Doch beim ersten schwierigen Entscheidungsprozess zeigen sie, dass nur das Etikett ausgewechselt wurde, die Haltung jedoch geblieben ist. Und wieder andere beherrschen das gesamte Spektrum eines neuen Führungsverhaltens, agieren aber nicht aus einem geteilten Interesse für die gemeinsamen Ziele, sondern verfolgen wie ihre Vorgänger ausschließlich persönliche Ziele. Irgendwann verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit. Es hilft also nichts: Nur eine innere Überzeugung, begleitet von Selbstkritik und einem anständigen Charakter ist ein geeigneter Motor für zukunftsfähige Führung.