Management by Mut
Geschrieben von Silke Katterbach
Die mutigste Managementkompetenz ist Empathie.
Peter Kruse vor der Enquette Kommission des Bundestags 2023
Der Duden gibt folgende Synonyme für „Mut“: Beherztheit, Bravour, Draufgängertum, Entschlossenheit, Forschheit, Furchtlosigkeit, Heldentum, Kühnheit, Risikobereitschaft, Rückgrat, Tapferkeit, Unerschrockenheit, Verwegenheit, Wagemut, Waghalsigkeit, Zivilcourage. Den Pionieren der Wirtschaft sagt man in der Regel so etwas wie Mut und Entschlossenheit nach, manchmal geht aus mystifizierenden Legenden sogar hervor, sie hätten eine Vision gehabt. Allein die Legenden sprechen dafür, dass ein Teil ihres Erfolgs durch den unerschrockenen Glauben an sich selbst und ihre Idee begründet ist. Heute brauchen insbesondere Führungskräfte Risikobereitschaft und Furchtlosigkeit, um auch weiterhin ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „Wo geht die Reise hin?“ – diese Frage wird in allen Medien diskutiert und nicht selten antwortet das Management mit einem Schulterzucken. Das ist kein Wunder, denn es gibt keine einfachen Antworten. Nichts zu tun und einfach wie gewohnt weiterzumachen hieße jedoch, ein krankes Pferd zu Tode zu reiten. Leider ist diese Tatsache noch längst nicht bis zu den Personalabteilungen durchgedrungen; dort wird weiterhin größtenteils Personal verwaltet, statt Hilfestellung für Führungskräfte zu geben. Vordenken ist keine Tugend in deutschen Personalabteilungen.
Aber wieso müssen Führungskräfte mutig sein?
David C. McClelland und David H. Burnham schrieben 1976, dass vor allem solche Manager verantwortungsbewusst und erfolgreich sind und großen Teamgeist bei ihren Mitarbeitern entwickeln können, die nach persönlicher Macht streben. Der Chef des Büros für Berufsstrategie und Bestseller-Autor Jürgen Hesse hat einen Test entwickelt, mit dem jeder seine Eignung zum Alpha-Tier überprüfen kann. Nur leider sind diese Dominanzfaktoren veraltete Vorstellungen von „guter Führung“ und werden den Anforderungen nicht mehr gerecht. Hier kommt nun der Mut ins Spiel. Denn in einer Alpha-Tier-Kultur ist es relativ leicht, sich mit den bekannten Verhaltensmustern zum „Leitwolf“ zu machen. Das verschafft nicht nur Macht, sondern auch Ansehen; als Belohnung sozusagen. Heute ist die Person mutig, die sich über die erwarteten Verhaltensweisen hinwegsetzt und anders ist. Dafür gibt es noch keine Belohnungssysteme, was es für Menschen schwer macht, etwas zu riskieren. Denn mal ehrlich: Wenn der Chef plötzlich eigenverantwortliche Entscheidungen von Mitarbeitern einfordert und demokratische Strukturen einführt, macht ihn das erstmal für viele nicht zum Helden. Oder noch extremer: Wenn der Vorgesetzte seiner Intuition folgt statt dem Controlling, wird er sicher keine Freunde gewinnen, sondern eher Fassungslosigkeit ernten.
Kulturmuster werden von allen gemacht
Der Grund für die Fassungslosigkeit ist die Kultur. Sie ist einfach da – und wirkt. Gemacht und getragen wird sie von uns allen. Wir kennen eben nichts anderes, deshalb erwarten wir das Gewohnte: Ein Chef trifft Entscheidungen, gibt Anweisungen und kontrolliert deren Einhaltung. Umso wirkungsloser sind Appelle, doch endlich die Kultur zu verändern. Wer sollte das tun? Wer fängt an? So viele Beispiele zeigen, wie wirkungslos und überflüssig der Ruf nach einer „Feedbackkultur“ oder einer „fehlerfreundlichen Kultur“ bleibt, wenn nicht irgendetwas Fundamentales passiert. Dieses Phänomen wird auch Paradigmenwechsel genannt, eine kollektive Umbewertung und Verhaltensänderung, die ruckartig eine Organisation verändert. Um den Führungsanforderungen der Zukunft gerecht zu werden, brauchen wir also den Mut zum Paradigmenwechsel, den Wagemut, etwas völlig anders zu tun, als wir es bisher kennen und dafür womöglich nicht direkt gefeiert zu werden. Die Courage, weniger an den eigenen Vorteil und mehr an ein kollektives Weiterkommen zu denken. Das ist heute kein blauäugiger Idealismus mehr, sondern eine Überlebensstrategie. Denn wir haben uns eine (Arbeits-)Welt geschaffen, in der patriarchale und hierarchische Strukturen Entwicklung und Anpassung hemmen. Mit Methoden von gestern konnte noch nie das Morgen gestaltet werden.
Wie kann es gehen?
Hier kann getrost mal die Wortherkunft von „Mut“ herangezogen werden: von mittelhochdeutsch muot → gmh und althochdeutsch muot → goh (Kraft des Denkens, Gemütszustand, Gesinnung). Die Appelle von Beratern und Wirtschaftsexperten richten sich in erster Linie an Führungskräfte weil sie die Richtung vorgeben. Das sollen und müssen sie auch. Doch sie zahlen einen Preis: Führungskraft zu sein heißt in Zukunft nicht mehr, automatisch ein höheres Gehalt zu beziehen, das größere Auto zu fahren und die Karriereleiter immer weiter nach oben zu klettern. Vielmehr müssen Menschen mit Personalverantwortung die Bereitschaft aufbringen, die Intelligenz des Teams zu nutzen, ergebnisoffene Prozesse zu verantworten und zu moderieren. Entscheidungen müssen sie in Zukunft beherzt, und vor allem intuitiv und schnell treffen und Misserfolge genauso schnell verarbeiten (Resilienz). Andere in die erste Reihe zu holen, die kompetenter sind, widerspricht nicht selten dem eigenen Geltungsbedürfnis. Alle diese Eigenschaften, beruhen nicht unbedingt auf Fachkompetenz, sondern liegen in der Persönlichkeit, schlummern vielleicht oder wollen sich schon lange entfalten. Der Austausch mit einem Coach kann den Rücken stärken, persönliche Voraussetzungen bewusst machen oder auch notwendige Kompetenzen hervorbringen. Kollegiale Beratung ist darüber hinaus eine einfache, aber effektive Methode, den Boden für die neue Führungskultur zu bereiten und zu betreten. Nur anfangen damit muss die Führungskraft selber.
Bei uns ist es aber ganz anders
Wenn dieser Satz fällt, ist klar: Ich würde ja gerne, kann oder will aber nicht. Sicher gibt es Unterschiede in der Notwendigkeit der Veränderung und nicht jedes Unternehmen steht vor dem Abgrund. Doch gilt in der vernetzten Welt das Prinzip der Aufschaukelung, die Situation kann sich innerhalb kürzester Zeit verändern. Wer vorbereitet ist, hat größere Überlebenschancen. Darüber hinaus ist die Zeit der Universalstrategien vorbei und jedes Unternehmen ist gefordert, eine eigene, den Anforderungen entsprechende Lösung zu entwickeln. Das Projekt „Augenhöhe“ gibt hier vielseitige Beispiele mutiger Organisationsprozesse, die zwar als Impulsgeber dienen können, nicht aber imitiert werden sollten. Um einen Diskussions- und Entwicklungsprozess kommt keine Organisation vorbei. Hier ist eine beratende Moderation sinnvoll, um Ergebnisse bestmöglich sichern, und den Prozess transparent vorantreiben zu können. Auch dafür müssen Führungskräfte mutig sein, denn Ergebnisoffenheit kann bedeuten, dass nicht die eigene Lösung die beste ist, dass der Erfolg nicht unmittelbar eintritt und dass nicht alle auf diese Reise mitgenommen werden. Um es mit Victor Hugo zu sagen: „Die Zukunft hat viele Namen: Für Schwache ist sie das Unerreichbare, für die Furchtsamen das Unbekannte, für die Mutigen die Chance.“