Beratung

Agilität ist mehr als eine Mode

Geschrieben von Silke Katterbach

Nicht alle können agil sein. Unser Ziel muss es aber sein, alle dazu zu befähigen.

Abgesehen davon, dass der Begriff Agilität einer der am häufigsten fehlinterpretierten in der Reihe der Management-Buzz-Words der vergangenen Jahre ist, kann es sich kein Unternehmen mehr wirklich leisten, sich dessen Prinzipien nicht zu stellen. Hier stelle ich (leicht verkürzt) einen Artikel aus meinem Buch „Effektiver und besser führen in Teilzeit“ vor:

Die Strukturen für eine hohe Anpassungsleistung des Unternehmens zu schaffen, ist eine zentrale Managementaufgabe. Was wir heute Management nennen, ist nach Gloger und Margetich (2014) in der Boomzeit der Industrialisierung entstanden: Von der Unternehmensleitung ausgewählte Personen, die den (damals meist ungelernten) Arbeitern sagt, was sie wie zu machen haben. Dieser Ursprung ist noch heute als Prinzip in unseren Köpfen verankert und behindert die Freiheit im Denken und Handeln der Mitarbeiter, die die Voraussetzung für Innovation und Agilität ist. Eigenverantwortung und Selbstorganisation finden in diesem alten Managementverständnis keinen Raum und wie in einem Teufelskreis werden die Argumente getauscht.

 

 

Nur wer als Manager in einer agilen Organisation die Pyramide umdrehen kann und sich als verantwortlich für die Bereitstellung aller notwendigen Ressourcen fühlt, um den Wissensarbeiter effektiv arbeiten lassen zu können, wird in Zukunft Akzeptanz finden. Das heißt natürlich nicht, dass jeder Mitarbeiter zu jedem Manager passt oder umgekehrt. Das simple Argument ist: Jeder ist ersetzbar. Wolf Lotter beschreibt das im Wirtschaftsmagazin brand eins so: „Es würde schon mal genügen“, sagt Fritz Simon, wenn „die Leute wüssten, in welcher Welt sie leben. Am Beispiel des Satzes ‚Jeder ist ersetzbar‘, den die meisten als Drohung verstehen, kann man das gut erkennen“ (Lotter 2017, S. 32). Dabei sei es der „Zweck der Organisation“, weiter zu existieren, auch wenn „Menschen kündigen, weggehen, krank werden, in Rente gehen oder sterben.“ Auch wenn das in unseren Ohren hart klingt, ist es richtig. Allein unsere Kultur lässt uns daran festhalten, unsere Einzigartigkeit über unsere Funktion in einer Organisation zu definieren. Fritz Simon, Psychiater und Berater, der in Lotters Artikel zitiert wird, beschreibt diese „perverse Logik“ der Arbeitslosigkeit als „Schreckgespenst“ in unserer Gesellschaft: Der Verlust der Arbeit, des Berufs und der fahrlässig an sie verketteten sozialen Identität, das zeigen Einzelschicksale und Studien mit ‚schlafwandlerischer Sicherheit‘ immer wieder, enden auch im persönlichen Zusammenbruch.

Loszulassen setzt sich langsam durch. Mit der Entstehung und dem Erfolg agiler Unternehmen, der wachsenden Zahl an Verantwortlichen und Mitarbeitern, die, unterstützt von einem Generationsübergang, den Paradigmenwechsel vorleben, wächst der Druck auf die „Alten“, die festhalten wollen an dem, wie es früher war, womit sie sich persönlich in hohem Maße identifizieren. Doch sind von der Umwandlung eines Unternehmens in eine agile Organisation nicht nur die Führungskräfte (das Management) betroffen. Wie stabil alte Muster sind, kennt jeder von sich selbst. „Gewohnheit“ nennt sich das. Psychologisch sind Gewohnheiten Erleichterungen für das Gehirn. Dinge, die nicht reflektiert werden müssen, bei denen nicht immer wieder entschieden werden muss. Auch Einstellungen sind häufig Gewohnheiten. Sie beruhigen, stabilisieren uns in unserem Alltagshandeln. Viele erliegen daher dem Glaubenssatz, man könne ja eh nichts verändern und erliegen damit ihrer Gewohnheit. Nicht selten werden tatsächliche Veränderungsmöglichkeiten dann einfach nicht mehr zur Kenntnis genommen. Ich beobachte in Organisationen sehr häufig Gewohnheiten, die einer individuellen Anpassung an eine agile Umgebung im Weg stehen: Routinen oder Abläufe, die einfach nicht infrage gestellt werden, Rahmenbedingungen wie Büros, Arbeitsplätze, die dysfunktional, ja manchmal sogar hinderlich sind oder auch gewohnte Einstellungen. Da wird es dann kompliziert und erfordert die Bereitschaft zur Selbstreflexion. So ist es in vielen Organisationen eine gewohnte Einstellung, zunächst kritisch allem Neuen gegenüber zu sein, statt auf die Möglichkeiten zu schauen, die potenziell damit verbunden sind. Ein neuer Chef wird eher auf den Prüfstand gestellt und in der Teeküche unterhält man sich darüber, ob er den Aufgaben wohl gewachsen ist, anstatt ihm und seinen neuen Ideen offen gegenüberzutreten.

Allein die Tatsache, dass es bei der Einführung z.B. der Scrum-Methode nicht nur um eine mechanisch andere Arbeitsweise geht, sondern diese Arbeitsweise geknüpft ist an eine tiefgehende Überzeugung, verursacht enorme Widerstände. Unsere Gewohnheiten, der kulturelle Rahmen und nicht zuletzt unser Verhalten stehen für die Ökonomie der Zukunft. Das ist neu und für viele erschreckend. Es wird nicht einfach etwas an den Rahmenbedingungen verändert, sondern das Zentrum der Veränderung liegt in der Persönlichkeit. Dementsprechend kommt der Psychologie ein großer Stellenwert zu. Begriffe wie „Sinn“, „Vertrauen“, „Miteinander“ bekommen quasi Marktrelevanz. Das wurde jedoch weder im Informatik-, BWL- oder Jurastudium gelernt und macht daher misstrauisch.

Doch am Ende folgen Organisationen immer dem, was in der Welt passiert und nicht umgekehrt. Und das ist weder gut noch schlecht. Wann immer der Mensch sein Weltbild veränderte, wurden wirkungsvollere Organisationsformen entwickelt. Ob es um die Einführung von Scrum, Teilzeit-Führung oder Selbstorganisation geht, es gilt der vielzitierte Satz: „Culture eats strategy for breakfast“ von Peter Drucker. Und der Zug rollt unaufhaltsam in die Richtung einer Kulturveränderung. Niels Pfläging, Unternehmensberater und Autor, sieht im Menschenbild die grundsätzliche Voraussetzung für Veränderung. In Anlehnung an Douglas McGregor, ehemaliger Professor für Management am Massachusetts Institute for Technology (MIT), geht Pfläging davon aus, dass nur solche Organisationen den Wandel überleben, die den Menschen als „intrinsisch motivierten, zur Selbststeuerung fähigen und grundsätzlich vertrauenswürdigen Menschen“ (Pfläging 2011, S. 35) begreifen. Agilität setzt grundsätzlich eine geteilte Kompetenz und Verantwortlichkeit aller Beteiligten voraus, da ansonsten zu viel Zeit und Energie für projektferne Themen verschwendet wird. Das Menschenbild ist dementsprechend ein elementarer Baustein für agiles Arbeiten.

An dieser Stelle ein kleiner Mutmacher: Wenn sich das alles auch sehr abstrakt und realitätsfern liest, so wohnt diesen Ausführungen eine recht simple Einsicht inne: ein menschliches Miteinander gilt es auch in Unternehmen zu realisieren. Anfangen könnten wir mit Teilzeit-Führung und einem schrittweise wachsenden Vertrauen in die Kompetenz von Systemen. Agilität beschreibt nichts anderes, als einen sinnvollen und bedachten Umgang mit Menschen in einem Umfeld, das seiner Leistungsfähigkeit angemessen ist und damit einen Nutzen (für den Kunden) bringt. Wenn der „Absprung“ vom alten Denken erst geschafft ist, fällt die Entwicklung neuer Strukturen leicht.

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